Horror Patriae Ausstellung
Abteilung für gemäßigten Größenwahn

Auf einem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert thront Österreich sowohl über Europa als auch über Afrika und setzt sich damit über Logik und Geografie hinweg. Die Hierarchie des Gemäldes beruht auf einer andersartigen Ordnung, auf einer vormodernen Welt, in der es weder Pässe noch Grenzen noch Nationalsprachen gab. Die Bäuerinnen und Bauern identifizierten sich mit ihren Dörfern, während die herrschenden Klassen sich in einem abstrakteren Sinne verstanden: durch die Zugehörigkeit zu einer Dynastie. Die Macht dieser Dynastie konnte sich über riesige, mehrsprachige Gebiete erstrecken, die keine klaren Grenzen besaßen.

Der gemäßigte Größenwahn dynastischer Macht wurde immer dann stärker, wenn sich europäische Häuser auf die translatio imperii (Übertragung der Herrschaft) beriefen und den Anspruch erhoben, Erben des alten Roms zu sein. Das Heilige Römische Reich, das sich nach 1512 paradoxerweise Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation nannte, übernahm den römischen Stil, aber auch die römische Sprache. Latein, auf das sich der Titel dieser Ausstellung bezieht, blieb bis Mitte des 16. Jahrhunderts in ganz Europa Amtssprache. Im militant katholischen und damit prorömischen Österreich war Latein beinahe bis in die 1840er-Jahre hinein Amtssprache. In diesem Raum ist eine bescheidene Kappe aus Lorbeerblättern aus den 1920er-Jahren zu sehen, die wahrscheinlich in einem österreichischen Familientheater verwendet wurde und einen ironischen Verweis auf die jahrhundertelange Tradition römischen Cosplays darstellt.

Das Heilige Römische Reich wurde im Jahr 1806 von Napoleon Bonaparte (1769–1821) beendet. Sein Kult war fast ein Jahrhundert lang in ganz Europa präsent, wie die hier ausgestellte Kassette zeigt. Napoleon führte in den von ihm eroberten Ländern eine einheitliche liberale Gesetzgebung ein und öffnete damit das Tor zur neuen Weltordnung. Gleichzeitig läutete er eine Ära des antiaristokratischen bürgerlichen Nationalismus ein. Die Revolutionen von 1848 wehten metaphorisch und buchstäblich unter Nationalflaggen – für viele zukünftige Länder war dies noch immer ein frommer Wunsch. Auf einer visionären Europakarte, die in jenem Jahr veröffentlicht wurde, erscheint der Held der Steiermark, Erzherzog Johann (1782–1859), als Staatsoberhaupt eines neu geeinten Deutschlands. Dazu sollte es jedoch nie kommen.

Während viele europäische Länder ihre angebliche Mononationalität entdeckten, blieb die Habsburgermonarchie bis zu ihrem Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg gigantisch und vielgestaltig. Als Österreich 1919 gezwungen wurde, dem Klub der Einzelstaaten beizutreten, entwickelte es seine eigenen größenwahnsinnigen, zuweilen toxischen Träume. Einer davon war bekanntlich die Schaffung eines neuen, allumfassenden Deutschen Reiches. In diesem Raum wird dies anhand einer beinahe anekdotischen Geschichte über ein kleines Dorf in der Steiermark veranschaulicht, das fälschlicherweise für einen Ort teutonischen Ruhms gehalten wurde.

Zwei zeitgenössische Filme, die hier gezeigt werden, wurden von Künstlern produziert, die sich in einem Umfeld gefährlicher größenwahnsinniger Träume befanden. Im 20. und 21. Jahrhundert haben solche Träume zu Kriegen geführt. Anfang der 1990er-Jahre identifizierte sich Tomislav Gotovac provokativ mit den paranoiden Fantasien der Rechten nach dem Kalten Krieg. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, der von einem wahnsinnigen Traum von einem neuen Imperium ausgelöst wurde, versucht Sergey Bratkov einfach nur, menschlich zu bleiben – was allein schon eine ganze Menge ist.