Anna Boghiguian

The Procession of Dionysos (2015–17)

In Die Geburt der Tragödie (1872) hat Friedrich Nietzsche zwei künstlerische Kräfte in der griechischen Kultur unterschieden: einerseits das apollinische Prinzip der Ordnung, des Gesetzes und des Traums, andererseits das dionysische Prinzip des Chaos, des Instinkts und der Ekstase. Die Tragödie besteht in ihrer Verschmelzung.

Mit ihrer einzigartigen malerischen Erzählweise greift Anna Boghiguian Nietzsches Ideen auf und wirft sie auf eine gewaltsame, turbulente Moderne zurück. In ihren Zeichnungen und Installationen verschränkt sie oft Gruppen von menschenähnlichen Gestalten, Mischwesen und Tieren. Eine Unzahl von Charakteren versammelt sich in einer Art Schattentheater, das wie ein „vorfilmischer“ Film vor den Betrachtenden abläuft, wie es die Künstlerin ausdrückt.

Hier ziehen düstere, karikaturhafte Soldaten los, um sich zu bekriegen oder einen Aufstand zu unterdrücken, während andere, die in die gleiche Richtung gehen, sich fröhlich umeinander schlängeln, als seien sie Teil eines unendlichen Karnevalsumzugs. Boghiguian erforscht die Spannungen und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen ihnen und weist damit vielleicht auf die Rolle hin, die Nietzsches Ideen bei der Legitimierung von Gewalt – insbesondere durch Rechtsextreme – im Namen des Instinkts spielen.

Anna Boghiguian (1946, Kairo, Ägypten) ist eine Künstlerin, die mit Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen, Texten und Collagen arbeitet. Sie setzt diese häufig zu großformatigen Installationen zusammen, die sich mit historischen und politischen Themen beschäftigen. Boghiguian hat an zahlreichen Biennalen teilgenommen, darunter die Documenta 13, Kassel (2012), und die 56. Biennale von Venedig (2015), wo sie den Goldenen Löwen gewann. Einzelausstellungen von ihr waren kürzlich im Power Plant, Toronto (2023), Castello di Rivoli, Turin (2018) und Museum der Moderne Salzburg (2018) zu sehen. Boghiguian lebt in Kairo.

Mixed-Media-Installation

Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin